Montag, 1. Oktober 2012

Varanasi

Taj Mahal
Ich hatte mir mal sagen lassen, dass man keine neuen Bilder mehr vom meistfotografierten Gebäude der Welt machen könne…  naja, ich habe mich trotzdem mal dran versucht. Dem islamischen Erbauer, Mogul Shah Jahan wird übrigens ständig nachgesagt, dass er aus tiefsinnigster Liebe heraus dieses Mausoleum für seine verstorbene Frau errichten ließ. Soweit richtig. Aber lang nicht so romantisch. Neben ihr hatte er nämlich noch 70 andere Frauen, mit denen er sich weiter vergnügte, auch wenn diese sich damit zufrieden geben mussten, irgendwann mal einen normal abgelutschten Grabstein zu bekommen. Das Taj war neben anderen Investitionen eine solche Ausbeutung seines Volkes, dass er den Boden verlor und sein eigener Sohn ihn stürzte. Er setzte ihn für die restlichen acht Jahre seines Lebens in ein Gefängnis, in dem er das Taj durch sein Kerkerloch bewundern durfte. In der Tat ist das Gebäude vielleicht das beeindruckendste, das ich gesehen habe. Es sieht einfach zu jeder Tageszeit aus, als hätte es jemand von Disney an den Horizont gemalt. Selbst das härteste Sonnenlicht bricht zart an den hellen Steinen.




Varanasi
Die Stadt ist die heiligste aller indischen Ziele, sie liegt am Ganges und ist Quelle aller unserortigen Geschichten von Totenverbrennungen und morgendlichen Badezeremonien. Sie ist uralt, eventuell die älteste aller Städte der Welt. So genau lässt sich das aber nicht zurück verfolgen, weil sich die indische Geschichtsschreibung gewöhnlich mit allerlei Sagen vermischt. Die Stadt hat eine Art Sandwitch-Entwicklung hinter sich, erst waren da vor tausenden Jahren die Hindus, die haben mit Gott Shiva persönlich die Stadt begründet und hunderte von Tempeln gebaut. Dann sind die Muslime gekommen und haben die Sandburgen alle puttgemacht und auf den Tempelfundamenten (!) ihre Moscheen erbaut, jetzt stehen wieder fast überall Tempel, die so ca. 300 Jahre alt sind. Fast. Das höchste Gebäude der Stadt ist eine uralte Moschee. Generell gibt es einigen Stunk zwischen Hindus und Moslems, weswegen Massen an Polizisten mit Gewehren rumlaufen. Die Gewehre sehen so aus, als hätten die Briten sie in den 60ern ausgemustert, als es keine Tiger mehr abzuknallen gab. Wie auch immer. 

 Ein Leichenverbrennungs-Ghat mit hunderten von kreisenden Vögeln, morgens.

 Gebet am Wasser. Wie der Mann trocken dort hin gekommen ist, weiß ich nicht. Es gab jedenfalls keine Tür...
 Yoga und Wäsche.

 Abends wird eine Zeremonie gehalten.

 Der wohl auffälligste aller Bettler der Stadt, mit der Müdigkeit kämpfend.

 Bewaffnete Polizei in jeder zweiten Gasse.

Ich war jedenfalls mit der Erwartung in die Stadt gekommen, eine friedliche, spirituelle, entspannte, atmosphärische Welt vorzufinden. Völlig orientierungslos wurde ich aber erstmal von vier mehr als aggressiven Schleppern durch die engen Gassen verfolgt, die mich in überteuerte Hotels lotsen wollten. “This my city, I can also walk here”, damit ließen sie sich nicht friedlich abschütteln. Ich war wirklich kurz davor, ihnen ein paar christliche Willkommensgrüße ins Gesicht zu batschen. Hab mich dann in letzter Minute doch noch in ein Hotel aus dem Guide retten können. Aber auch die ersten Touren ohne Gepäck waren enttäuschend, die Stadt ist dermaßen kommerzialisiert. Jede heilige Stätte ist mit Werbung beklebt, jede (ungelogen) zweite Person springt einem in den Weg, um einem irgendwas anzudrehen. Und jede erste Person, die man anspricht, will einem spätestens bei der Gelegenheit was verkaufen, auch wenn es nur ein Entgeld für die mit Wink angedeutete Richtung ist, in die man zu erfragtem Ziel laufen soll, dessen Winkel mal locker 90 Grad Himmelsrichtungen abdeckt und man nach 10 Minuten feststellt, dass er einen in die falsche Richtung geschickt hat. Die Stadt erstickt in Müll und Menschenmassen und aggressiven Kötern, die sich täglich gegenseitig oder auch mal ein Kind zerfleischen. Ausgerechnet hier hat mir einer der Ärmsten den wärmsten Empfang bereitet, Vijay Anand Baba: er winkte mir wild gestikulierend zu, ich solle einen Chai mit ihm trinken. Er kann etwas Englisch, wenn auch nur ganz wenig, seine Sätze beginnen gewöhnlich mit “My holy Varanasi” und enden mit “famous city”  oder “Shiva power” und leider konnte ich mir nichts aufschreiben, was er mir an Namen und Orten erzählt hat, weil es unaussprechlich lange Worte waren, die er mir dankender Weise in Hindi aufgekritzelt hat, was ich auch nicht lesen kann. Er lebt seit seinen von ihm selbst auf 68 bezifferten Jahren in der Stadt und gehört zu einer Unterkaste der Brahmanen, die wohl übersetzt “Tiger” heißt, und etwas von einem friedlichen Tiger hat er auch. Er besitzt absolut nichts außer einem kleinen Beutel, darin hat er ein paar Rupien in Tücher eingebunden, in die er sich selbst nachts einwickelt, ein Bisschen Schminkzeug und etwas Essen. Vor ein paar Wochen hatte er einen Unfall, ein Motorrad hat ihn angefahren. Und weil in Indien jeder für sich selbst verantwortlich ist, wird man dann noch von irgendwem in ein Krankenhaus gekarrt und muss dann selbst klar kommen. Die 180 Euro für die OP seines Beinbruchs haben Freunde und Bekannte gespendet, für täglich 1,20 EUR für Magnesium und Paracetamol muss er betteln gehen. Dabei hat er es noch verhältnismäßig gut, seine Kaste garantiert ihm einen heiligen bzw. respektierten Status, und mit seinem fröhlichen Charme bekommt er an jedem Marktstand (wo nun auch nicht die reichsten Menschen arbeiten) irgendein Stück Gemüse geschenkt, und auch eine Bank auf der Straße kriegt er von einem Freund gestellt. Ab dem Tag, wo ich ihn traf, wollte er seine Einkünfte dann auch noch mit mir teilen, und ich konnte nicht immer ablehnen. Leider vertragen sich die dreckigen Essensklumpen aus den dreckigen Händen nicht gut in meinem Magen, seit 2 Tagen liege ich flach. Baba, wie ihn hier alle nennen, ist für sein gebrochenes Bein und sein Alter jedenfalls ziemlich flott unterwegs und hat mir viele nette und versteckte Flecken der Stadt gezeigt. Plötzlich waren auch mehr Menschen um mich rum nett oder wollten mir zumindest nicht irgendwas andrehen. Am Ende hat er mir noch seinen Segen gegeben. Und, was soll ich sagen: Ich bin gesund und unausgeraubt, voller guter Laune wieder zurück in Deutschland!

 Baba zeigt mir die Stadt.


 Morgendliches Bad im Ganges.
 Die nächtliche Bank zum Schlafen.


Am 3. Tag wollte doch tatsächlich niemand mehr meinen Weg kreuzen! Und wie es der indische Zufall so will, war gestern ein ganz besonderer Tag. Frauen und Männer aus allen Teilen des Landes kamen zu einer bestimmten Stelle an einem Tempel, wo Treppen zu einer Pfütze abgeleiteter “Mutter” Ganges hinab führen. An diesem einen Tag, so irgendeine Erzählung, sollen alle Ehepaare, die keine Kinder bekommen können, ihre Fruchtbarkeit wieder bekommen, “no doctor, no medicine, mother ganga power”, wie Baba erklärt. Wir stapfen also durch Berge hastig abgerupfter Kleidung und pressen uns im Strom tausender Menschen zu eben jenen Treppen, an deren Fuß unglaublich viel mehr Menschen auf einmal in einem Tümpel heiligen Wasser tauchen und auch noch Gemüse und Blumen einstreuen. Die Luft wird gepeitscht von dröhnenden Lautsprecheransagen, die wohl Gebete sein müssen, denn sie finden einfach keine Pause. Auf dem Weg zum Ufer findet man viele Eltern, die ihre Kinder den Kopf rasieren lassen, um sie dann mit Ganges-Wasser zu waschen - ein Ritual, um sie von allem Karma zu befreien. 

 Entsetzen kurz vor dem Rasieren. Die Farbe um die Augen soll die Sehkraft von Kindern erhalten.
 Manche Kinder nehmen es gelassen...


 Wäscheberge vor dem Bad.



Himalaya
Hier noch ein paar Bilder von meinem kurzen Hike nach Nepal.
 Aufstieg im Nebel.
 Am nächsten Morgen das Wunder. Am Horizont: Kangchenjunga, 8586 Meter.
 Ein Hund hat mich begleitet und mir die Krähen vom Hals gehalten.
 Alien-Wolke bei Sonnenuntergang.

Mittwoch, 12. September 2012

Auf dem Weg nach Mumbai

Weiter geht’s auf meiner Reise, mittlerweile sind schon zwei Wochen verstrichen. Zunächst war ich in den Backwaters von Aleppey. Es gibt hier unendliche, riesige, von Palmen gesäumte Kanäle, die sich noch weit in Norden und Süden erstrecken. Am Ufer haben unzählige Familien ihr Leben angesiedelt, entweder als Entspannungsdomizil (Kerala hat ja viele wohlhabende Einwohner) oder Bauernfamilien, die ihre (Reis-)Felder gleich vor der Haustür haben. Die Menschen kommen zum Waschen, Kochen, Beten und auch alles andere ans Wasser, man hat also direkten Einblick ins Privatleben. Ich hab mich mal dazu hinreißen lassen, eine kommerzielle Bootstour zu machen – ich habe es nicht bereut . Auf einem wunderschönen Schiff mit Flechtdächern, Hängestühlen und Köchen inklusive. Mit mir waren bunt gemischte Westler dabei. 
 Backwaters und ein Schiff wie wir es hatten
 Schiff und wir von drinnen.
 Anlegestelle für die Nacht.
 Goldflut am Morgen, Frau holt Wasser zu Frühstück-Kochen.
 Kingfisher, ein Wahrzeichen und Logo einer der größten Konzerne Indiens. Ziemlich schön!
 Momulo kann übers Wasser rutschen

Danach habe ich mir in Cochin die keralanischen Kunstformen reingezogen: Katakali, eine Theaterform mit aufwendigen Kostümen, deren Geschichten hauptsächlich über Gesichtsmimik und Fingergesten erzählt wird. Es gibt dann etliche Figuren und Formen für Gegenstände und Emotionen, die man nicht alle so schnell begreifen kann. Trotzdem sehr eindrucksvoll. Spektakulärer ist eine spezielle Martial Arts-Form, Kalaripayattu, bei der die Gegner mit übelsten Waffen auf einander losgehen und nicht gerade zimperlich sind. Neben krassen Sprüngen und Saltos gibt es auch ruhigere Aufwärmübungen mit Elementen aus Yoga, andere Techniken sind bei irgendwelchen Schlangen und Affen abgekupfert. Makaber, dass die sich so früher abgeschlachtet haben. 
 Katakali-Theater.
 Chinesische Fischernetze am Hafen von Cochin.
 Martial Arts am Strand.
 Wäschewaschen auf indisch, in einer Wäscherei.

Danach bin ich nochmal in einen Urwald gefahren, in dem es riesige Raupen und die tollsten Passionsfrüchte gab. Das spektakulärste war eigentlich eine nicht enden wollende Busanfahrt, die wirklich genug Stoff für einen Roman gibt. Nur mal in kurz: in einer von 1000 viel zu engen Kurven hat mein Bus, der wie alle anderen Busse viel zu schnell war, einen anderen Bus seitlich gerammt, eigentlich nur äußerer Schaden. Eigentlich. Die Busfahrer mussten dann aber nochmal klar stellen, wer von ihnen für welche 50% Teilschuld verantwortlich sind und haben sich ein paar saubere Fäuste ins Gesicht geschleudert. Indien-typisch stehen dann 50 Leute direkt bei den Beteiligten und glotzen. Nagut, einer wollte dann auch noch mitprügeln. Ich hatte dann irgendwann keinen Bock mehr, mir dieses Drama zu geben, und bin prompt per Anhalter weiter gekommen (immerhin war ich in gottverlassenen Bergen, in denen keiner eine meiner Sprachen spricht und nur gelegentlich mal ein funktionierendes Gefährt vorbei kommt). Im nächsten Bus ist dann irgendwann ein Keilriemen gerissen, woraufhin der Busfahrer beherzt in die Ersatztruhe griff und den Bus immerhin so reparierte, dass er im ersten Gang weiter fahren konnte. Wiederum im nächsten Bus konnte dann endlich wieder ein netter Mann etwas Englisch, der kannte auch die Unterkunft  in HoneyValley, zu der ich wollte. Nur liegt die von der letzten Bushaltestelle nochmal 30 Minuten entfernt. Weshalb der Busfahrer einen Jeep bestellte, der mich vorbei an Wasserfällen auf einem steilen Schlammweg auf einen Hügel raste, wooohoo! Netter Aufenthalt, aber am nächsten Tag musste ich langsam in Richtung Mumbai. Im Bus nach Mangalore rief dann ein Inder, der mich promt anquatschte, einen Freund im Reisebüro an und stellte fest, dass mein erhoffter Nachtbus nicht fährt. Weil es schon nacht war und er in Mangalore studiert, hatte ich kurzer Hand eine Unterkunft und noch einen super Biketrip durch die Stadt zu einem Tempel und zu einem Bier. Ein super Abenteuer! 
 Ist das nicht ein wunderbarer Platz für ein Filmplakat, Herr Polizist?

 Eine Stunde Abtecher nach Goa: lange, weite Strände, Sonnenbrand. Kann weiter gehen!


Im Zug nach Mumbai hatte ich dann auch gleich den nächsten supernetten Menschen kennengelernt, bei dem ich die nächsten zwei Tage in Mumbai verbracht habe.
Die Stadt ist einfach traumhaft. Habe gleich morgens nach einer Marktbesichtigung nach Dabbawallas Ausschau gehalten. Die gibt es nur hier, eine niedrige Kaste, die einen sehr speziellen Beruf ausführt: sie bringt das Essen von ca. 200000 Ehefrauen jeden Mittag zu deren Männern ins Büro. Denn das Essen von Zuhause schmeckt ja am Besten. Es gibt ca. 5000 Dabbawallas in der Stadt, die sich ausschließlich per Zug, Fahrrad, mit einem Holzkarren oder zu Fuß durch die Stadt bringen. Man muss sich dabei vor Augen halten, dass die Stadt wirklich kein bequemes und berechenbares Pflaster von Gegenständen (noch nicht mal von den eigenen zwei Beinen) ist, und trotzdem schaffen diese Leute es, die Essen an allen Haustüren einzusammeln, zu Verteilerpunkten zu bringen, umzusortieren (nach einem bestimmten Code, der mit Kreide auf die Behälter und Taschen geschrieben wird) und direkt in die Büros zu bringen. Das Ganze ist so effizient, dass das Essen auf die Minute genau am Platz landet und statistisch eines von 16 Millionen Paketen verloren geht. Ich hatte das besondere Glück Shankur zu treffen, der mich eingeladen hat, mit ihm mit zu kommen – was wohl nicht vielen Touris passieren wird. Ich bin in sämtliche Bürogebäude hinein gekommen, die bewacht werden. Weil die Kaste aber so einen Respekt in der Bevölkerung genießt, dass nicht mal jemand auf die Idee kommen würde, eines ihrer Fahrräder zu stehlen (die werden immer unabgeschlossen auf der Straße stehen gelassen), wurde ich lächelnd überall herein gebeten. Habe zwar nicht viel mit ihm reden können, weil er bei jeder Frage nur grinsend genickt hat, aber wir haben auch so super verstanden. Am Ende gab es noch einen Happen von seinem eigens mittransportierten Essen, das ich ohne Probleme zum schärfsten ganz Mumbais erkläre.
Danach habe ich einen indischen Rockmusiker und Musikproduzenten getroffen (checkt einen alten Clip von ihm out: http://www.youtube.com/watch?v=TESwYu7RdU4) der für indische Verhältnisse ne härtere Gangart einlegt und kein Blatt vor den Mund nimmt. Genau so ist er selbst – herzensgut, gnadenlos ehrlich und ziemlich witzig. Oh, und ein echt guter Musiker! Haben dann noch einen 2 stündigen Trip durch die Skylines von Mumbai auf der Schnellstraße auf seinem Bike veranstaltet, diese riesigen Gebäude sind beeindruckend, da müssen deutsche Gebäude echt einstecken. Am nächsten Tag hatte ich dann noch einen Blick auf die Elefanta-Caves, ein paar uralte Höhlen mit riesigen Götterebenbildern. Dabei habe ich Dan aus New York getroffen, mit dem ich gerade nach Rajastan weiter reise.
 Dan in den Elefanta-Caves.
 Morgentliches Schmücken von Götterabbildern in der Bahnstation.
 Das Taj-Hotel am Meeresufer. Bekannt durch den Terroranschlag vor ein paar Jahren.
 Fleischreste auf dem Markt.
 Noch mehr (zukunftiges) Fleisch.
 Die Buchhaltung hat wohl nix zu tun.
 Marktreste. Hier sammeln die Armen noch Essbares.


 Ein Tag mit den Dabbawallas.










Tee-Shop mitten in einem Bürokomplex.



 Über die Jahre entstehen dann auch Freundschaften
 Ein echter Müller!
 Morgentliche Rush-Hour in den Zügen.